© hc consulting AG 11.2024

Die Bürgerversicherung und ihre Konsequenzen für die medizinische Infrastruktur in Deutschland

Im Rahmen der Bundestagswahl 2017 ist auf politischer sowie wirtschaftlicher Ebene erneut die Diskussion über eine mögliche Bürgerversicherung oder „gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für alle“ entfacht. Bisher gibt es in Deutschland ein Zwei-Säulen-Modell, welches aus der GKV und der privaten Krankenversicherung (PKV) besteht. Lediglich 10 % aller Bundesbürger sind privat versichert, diese machen aber 25 % des Gesamtumsatzes der Gesundheitswirtschaft aus.

 

Mehrumsätze

Eines der Argumente gegen eine Bürgerversicherung ist der Verlust von Mehrumsätzen in der gesamten Gesundheitsbranche. Die vom Wissenschaftlichen Institut der PKV (WIP) ermittelten Mehrumsätze in Höhe von 5,99 Milliarden Euro (2014), welche den Ärzten ausbleiben, würden den Erhalt und die fortlaufende Modernisierung der medizinischen Infrastruktur stark beeinträchtigen. Mehrumsätze sind Umsätze die entstehen, wenn ein Patient privat und nicht gesetzlich versichert ist. Diese belaufen sich auf durchschnittlich 49.243 € je niedergelassenem Arzt jährlich. Innerhalb der medizinischen Fachbereiche gibt es zudem große Diskrepanzen in den Zusatzvergütungen, die durch die Einführung der Bürgerversicherung wegfallen würden. Der Allgemeinmediziner verliert laut Daten des Statistischen Bundesamtes 22.216 €, Dermatologen sogar bis zu 158.530 € jährlich. Der Verlust von Mehrumsätzen durch Privatpatienten, der bei einem Arzt der Dermatologie jährlich anfällt, würde innerhalb von 1,1 Jahren den Praxisinvestitionen für eine neue Hausarztpraxis gleichen. Obwohl die PKV keinen Einfluss auf die Verwendung dieser Mehrumsätze der Ärzte hat, muss makroökonomisch betrachtet angenommen werden, dass die medizinische Infrastruktur positiv beeinflusst wird.

 

Soziale Perspektive

Ein populäres Argument zu Gunsten der Bürgerversicherung appelliert an die soziale Perspektive. Da auf Grund des Einkommens und des individuellen Gesundheitszustandes nicht jeder für eine PKV geeignet ist und PKV-Patienten oft als bevorzugt wahrgenommen werden, wird der Begriff „Zwei-Klassen-Medizin“ verwendet. Das Konzept der „GKV für alle“ wird von mehreren Fraktionen wie z.B. der SPD und den Grünen gefordert, um eine „faire und solide“ gesundheitliche Versorgung zu garantieren. Vorgeschlagene Reformentwürfe bieten allerdings bislang keine realistischen Lösungen für eine Kompensation der verlorenen Mehrumsätze. Steuerfinanzierung, Beitragserhöhung oder eine Kürzung des Leistungskataloges sind politisch gesehen unpopulär und daher als Lösung eher unwahrscheinlich. Des Weiteren sollte nicht vergessen werden, dass GKV-Patienten in gleichem Maße von potentiellen Investitionen der Mehrumsätze in die Praxisinfrastruktur profitieren wie die PKV-Patienten.

 

Fazit

Die Einführung einer Bürgerversicherung scheint problematisch aus mehreren Gründen. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass ein Verlust der Mehrumsätze für Ärzte die medizinische Infrastruktur in der fachärztlichen Versorgung bedrohen. Zusatzhonorare in Höhe von 5,99 Mrd. €, welche potentiell zu Investitionen bereitstehen, würden fehlen und sich negativ auf die im internationalen Vergleich führende medizinische Infrastruktur in Deutschland auswirken. Des Weiteren ist das Zwei-Säulen-Modell der GKV und PKV seit vielen Jahrzehnten implementiert. Auch durch die Kapitalanlagen der PKV im Kapitaldeckungsverfahren von über 300 Mrd. € ist eine Reformierung unwahrscheinlich.